Rede von Peter Schwarz am 17.05.2009

 

Sehr geehrte Damen und Herren,
Sehr geehrte Frau Volksanwältin Terezija Stoisits
Sehr geehrter Herr Stadtrat Mailath-Pokorny
Sehr geehrter Herr Bezirksvorsteher Gerhard Kubik
Sehr geehrte Frau Liesl Ben David-Hindler

Vor allem möchte ich jedoch die anwesenden Überlenden der NS-Verfolgung begrüßen!

Darunter sind heute hier Lisl und Georg Hacker, Shulamit Locker alle aus den USA.

Weiters begrüße ich Frau Getrude Schaier, die aus Italien angereist ist und Herrn Felix Burian mit Tochter aus Israel, Herr Dr. Erich Drill, die alle zu meiner Familie zählen.

Ich fühle mich sehr geehrt, dass ich nun zum wiederholten Male bei der Eröffnung einer Etappe des „Weges der Erinnerung“ einige Worte an Sie richten darf.

Durch meine Tätigkeit bei ESRA, einem psychosozialen Zentrum, das speziell für Überlebende der NS-Verfolgung, jüdische EmigrantInnen und auch in anderer Weise traumatisierten Menschen geschaffen wurde, bin ich mit ERINNERN täglich konfrontiert.

Erinnern an die eigene Verfolgung, an das Leid von Verwandten ist ein schmerzlicher Prozess. Wir alle nach 1945 Geborenen, die zum Glück niemals Verfolgung ausgesetzt waren, niemals flüchten mussten, niemals aus einer Klassengemeinschaft und aus einem Staat ausgeschlossen und vertrieben wurden, können sich mit Sicherheit nicht vorstellen, welche tiefen Wunden dies in der Seele hinterlässt. Wunden, die bestenfalls vernarben, niemals vollkommen verheilen können.

Es gibt viele Lehrbücher über Umgang mit Trauma und auch wir in ESRA haben eben zu diesem Thema viel Erfahrung sammeln können. Eines ist klar: ganz wichtig ist es für einen Menschen, der Verfolgung und Qualen ausgesetzt war, dass sie oder er das Gefühl hat, das das eigene Leid von der Gesellschaft anerkannt, verstanden wird. Wenn man versteht, wie sehr auch viele Nachkommen der Verfolgten und Ermordeten darunter leiden, was ihren Vorfahren in dieser Stadt angetan wurde, kann man leicht nachvollziehen, wie wichtig das Erinnern an dieses größte Verbrechen, das hier begangen wurde, auch für deren Beziehung zu dieser Stadt ist.

Für die Allgemeinheit hat das Erinnern an die Gräuel der NS-Zeit eine ganz andere Bedeutung. Das Erinnern und Gedenken ist für die, die die NS-Zeit selber erlebt haben, oft die Möglichkeit sich mit ihrer eigenen Vergangenheit kritisch auseinanderzusetzen. Nicht jede und nicht jeder hat persönliche Schuld auf sich geladen. Aber die gesamte damalige und heutige Gesellschaft hat Verantwortung – auch wie heute mit der Geschichte, den Überlebenden, deren Nachkommen und auch der gesamten Jugend dieser Stadt umgegangen wird.

Wenn es uns gelingt die heutige Jugend für NS-Verbrechen zu sensibilisieren, dann bleibt Erinnern nicht etwas rückwärts gewandtes, dann wird es zur Chance für die Zukunft heutiger junger Menschen.

Wir werden es nie verhindern können, dass Jugendliche zu Handlungen fähig sind, von denen wir in den letzten Wochen erfahren mussten. Ich meine damit die Übergriffe in Ebensee und Auschwitz, wo Jugendliche offensichtlich nicht ausreichend informiert und sensibilisiert wurden. Wir können und müssen solche Vorfälle jedoch weiter energisch bekämpfen.

Was durch Erinnern und eindeutige Positionen möglich wäre, ist heutige Fremdenfeindlichkeiten zurückzudrängen. Der Aufschrei bei islamfeindlichen Parolen im Rahmen der Wahlwerbung oder von rechtsextremen sogenannten Bürgerinitiativen müsste unüberhörbar laut sein. Jedenfalls viel lauter als jetzt!

An dieser Stelle sei auch gewarnt zu meinen, rechtsextreme Politiker aus Parteitaktik in wichtige Ämter unserer Republik zu hieven, wäre klug. Dies bagatellisiert die Aktivitäten rechter Gruppierungen. Man kann nicht an einem Tag sich als Antifaschist erklären und am nächsten einen Martin Graf zum Nationalratspräsidenten wählen. Damit werden diese Antifaschisten unglaubwürdig und die Rechtsextremisten gesellschaftsfähig.

Zurück zum Weg der Erinnerung: An diesem Projekt gefällt mir, dass es die Verfolgten der Anonymität entreißt, es für Bewohner des 2. Bezirks immer fühlbarer wird, dass Menschen wie Du und ich verfolgt wurden. Nachbarn, Alte, Junge, Kinder, Arme, wenige Reiche, kleine Geschäftsleute, Ärzte, Mütter, Lehrer, Religiöse und vollkommen unreligiöse, oft Patrioten, aus fast jedem Haus, eben Menschen aus unserer Mitte gerissen wurden und man sich an deren Hab und Gut bereichert hat.

Wenn solche Projekte entsprechend im Schulunterricht genutzt werden, vermittelt wird quasi auf „Schritt und Tritt“, dass nicht „die Andern“ vertrieben wurden, sondern „normale“ Bürger dieser Stadt, dieses Landes, dann könnte eine Jugend heranwachsen, die gegen Fremdenfeindlichkeit immun ist.

In diesem Sinne möchte ich mich bei allen Unterstützerinnen des Projektes „Weg der Erinnerung“ bedanken – allen voran bei Frau Liesl Ben David-Hindler! Auch Herrn Florian Müller, der sich für die Tafel beim Julius-Bermann-Hof engagierte sei gedankt. Beiden AktivistInnen wurde es nicht leicht gemacht und beide hatten einige, auch unverständliche, Hürden zu überwinden.

An die Öffentliche Hand möchte ich appellieren, Projekte dieser Art weiter und noch großzügiger zu unterstützen. Nein, eigentlich wünsche ich mir etwas ganz anderes: ich wünsche mir, dass die Wiener Bevölkerung und die Politik Projekte dieser Art zu ihrem eigenen Anliegen macht. Frau Ben David-Hindler und andere, die gute Ideen für Erinnerungsprojekte haben, sollten einfacher bei der Umsetzung unterstützt werden. Da die Anzahl der Vertriebenen und Ermordeten weit über hunderttausend ist, ist da noch einiges zu tun.

Da heute auch Steine der Erinnerung für zwei Mitglieder meiner Familie präsentiert werden, erlaube ich mir ganz kurz an deren Schicksal zu erinnern:

Amalia und Moritz Fischbach Die Fischbachs lebten mit ihrem Sohn Leopold in der Franz-Hochedlinger-Gasse 26 im 2. Bezirk.

Amalia Fischbach wurde am 20.7.1885 in Losiac , Galizien, geboren. Sie war Mitglied einer großen jüdischen Familie. Ein Teil der Familie lebte in Villach.
Moritz Fischbach ist am 20.2.1882 in Nizkort Novi, ebenfalls Galizien, geboren. Er heiratete seine Cousine Amalia (Mali) und ist mit ihr nach Villach gezogen, wo sie ein kleines Geschäft hatten. Später zogen sie nach Wien und Moritz Fischbach arbeitete im Unternehmen von Adolf Schwarz, meinem Großvater und Verwandten von ihnen, der auch aus Losiac stammte. Sie lebten in sehr bescheidenen Verhältnissen.
Zu Beginn des Jahres 1939 versuchten sie zusammen in die USA zu flüchten.
Leopold Fischbach, Sohn von Moritz und Amalie Fischbach, berichtet in Briefen über das Schicksal seiner Eltern: “Ich selbst habe Wien am 15. September 1938 verlassen und habe gleich nach meiner Ankunft in den USA einen Kredit von
US $ 1 000,- aufgenommen, damit ich Visas nach Kuba bezahlen konnte. Meine Eltern schifften im April 1939 ein. Das Schiff, die ‘ST. Louis’, wurde später ‘Schiff der Verdammten’ genannt. Die Kubanische Regierung hatte die Visas nicht anerkannt und ließ die armen Menschen nicht landen, auch Amerika nicht. Sie mussten zurück nach Europa, wo meine Eltern nach Südfrankreich gelangten. Mein Vater wurde kurz darauf in Gurs interniert. Nach seiner Freilassung war meine Mutter bereits im nazibesetzten Gebiet. Er starb im Mirabeu-Spital im Alter von 51 Jahren. Meine Mutter wurde im Jahre 1941 nach Auschwitz verschleppt und ist in den Gaskammern umgekommen.“ Zitat Ende. Aus den Aufzeichnungen der Nazis sind erstaunlich genaue Informationen zur Deportation von Amalia Fischbach bekannt: Sie wurde am 6.November 1942 um 8 Uhr 55 von Bourget / Drancy mit anderen 999 Juden nach Auschwitz transportiert und dort ermordet.
Der Sohn Leopod (Poldi) Fischbach lebt heute 97jährig in Florida. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!