Shulamit Locker

 

Rede bei der Eröffnung der 100. Station des Wegs der Erinnerung Wien, 17. Mai 2009

Ich möchte einige Worte über meine Mutter sagen. Ich war 12 Jahre alt, als sie mich zum Bahnhof brachte und von mir Abschied nahm. Es war am 25. Dezember 1939, über ein Jahr nach der Kristallnacht und vier Monate nach dem Kriegsanfang. Für uns Juden waren die Verhältnisse hier sehr schlimm. Ich glaube, es war der letzte Kindertransport, den man hinausgelassen hat. Wir umarmten und küssten uns, und der Zug fuhr fort. Ich hatte keine Ahnung, dass wir uns nie wieder sehen würden. Sie muss es gewusst haben.
Als meine Töchter im Alter waren, wie ich damals war, hab ich erst begriffen, was für ein ungeheures Opfer es war mich gehen zu lassen – um mich zu retten. Leider konnte sie sich selbst nicht retten.
Ich möchte einen Teil von einem Gedicht lesen, dass mein Vater auf Jiddisch seiner Mutter, meiner Großmutter gewidmet hat. Sie ist auch in einem KZ umgekommen und es betrifft alle Mütter, die nicht zurückgekommen sind.

Ich weiß das Datum, wann Du geboren warst.
Ich weiß nicht das Datum, wann du starbst.
Ich weiß nur, dass ich Dich für ewig verloren hab.
Ich weiß, sie trieben Dich von Deinem Haus.
Du wurdest gefoltert und zum Schluss gingst Du mit anderen in die Gaskammer, um dort zu sterben.
Du lebst in meinen Gedanken als ob Du noch hier wärst.
Deine Mutterliebe hat mich weggeschickt um mich zu retten.
Und Du? Du bist geblieben und konntest Dich selbst nicht retten.

Ich bekam eine Postkarte von meiner Mutter aus Theresienstadt. Sie war um mich besorgt, wollte wissen wie es mir geht, ob ich eine gute Schülerin bin, ect. Niemals erwähnte sie, dass sie selbst verhaftet war und sehr viel leidet.
Meine Mutter gab mir zweimal das Leben. Erstens bei meiner Geburt und zweitens, als sie mich wegschickte. Danke Mutti, ich lebe noch und Du hast zwei herrliche Enkelkinder und wunderbare Urenkeln. Ohne Dein großes Opfer wären wir alle nicht hier. Ruhe in Frieden. Du hattest keinen Sohn, so werde ich für Dich Kadish sagen.